Der unbekannte Prophet Jakob Lorber
– so nannte Wilhelm Kirchgässer (Kurt Eggenstein) sein
Buch, das den göttlichen Ursprung der Neuoffenbarung
belegen sollte und dem wir uns zu Beginn dieser
Rezension widmeten (vgl. Kapitel "Kurt Eggenstein"). Kirchgässer bezog das
"unbekannt" natürlich auf die Welt außerhalb der
eingeweihten Lorberfreunde. Selbstredend, dass
Kirchgässer davon ausging, genug über die Person Jakob
Lorbers zu wissen um ausschließen zu können, dass sein
Werk nicht Resultat einer psychotischen Störung sein
kann. Doch was wusste Kirchgässer über Jakob Lorber?
Was wissen die Freunde der Neuoffenbarung Jakob
Lorbers über ihn? Und woher wissen sie es?
Werke wie "Briefe Lorbers" mit vielen Bildern, Briefen
und Anekdoten aus Lorbers Leben, aber auch die
Neuoffenbarung selbst, in der Lorber Fragen stellt oder in
der das "innere Wort" über ihn, den Schreibknecht, redet,
geben den Freunden der Neuoffenbarung das Gefühl, gut
über den Menschen Jakob Lorber informiert zu sein.
Stärker aber wiegt das, was sich Neuoffenbarungsfreunde
gegenseitig immer wieder bestätigen: Lorber, der
einfache, schlichte, demütige, unauffällige Mann, der im
blinden Vertrauen auf Gott eine helle Stimme in seinem
Herzen vernimmt und so fehlerfrei und rein der Welt die
tiefsten Geheimnisse offenbart.
Wie wenig über Jakob Lorber selbst kurz nach seinem
Tod bekannt war, zeigt die Auseinandersetzung von Karl
Gottfried Ritter von Leitner mit einem Artikel der
Zeitschrift "Psychische Studien". Nach
diesem Artikel wuchs Lorber als Waise auf, lesen und
schreiben waren ihm "antipathisch":
»Ich weiß nicht, ob dieser Vorläufer der
Schreibmedien mechanistisch, oder innerlich
auffassend schrieb – aber die Mehrheit der von
ihm gestellten und behandelten Fragen, die Höhe
der Probleme, welche er erklärte, das Ganze
dieser wichtigen Arbeiten beurkundet sicher das
Eingreifen einer höheren Intelligenz, als die
dieses armen Bierfiedlers, der sein Leben fristete
auf den untersten Stufen der Kunst, und der in
fortwährender Trunksucht sein Elend zu
vergessen suchte.«
Psychische Studien, 4. Heft S. 159f, April 1878
So tauglich diese Darstellung aus Sicht
parapsychologisch interessierter Leser auch sein mag,
Erstaunen über Lorbers Texte auszulösen und eine
"höhere Intelligenz" zu akzeptieren, zeigt sie doch
weitgehende Unkenntnis über die Person Jakob Lorbers.
Jakob Lorber war bei weitem nicht der naive Trottel, zu
dem er in diesem Artikel degradiert wird. Zu Recht
wendet sich der Schriftsteller Karl Gottfried Ritter von
Leitner mit seiner "wahrheitsgetreuen Lebensskizze" im
Novemberheft 1879 gegen die Darstellung dieser
vorangegangenen Ausgabe. In wieweit aber nun
wiederum ein glühender Anhänger Lorbers in der Lage
ist, einen objektiven Bericht über das Leben von Jakob
Lorber zu verfassen, ist fraglich. Wenn man Leitners
spätere, auf der Lebensskizze aufbauende Lebensbeschreibung liest, die heute als Handschrift Nr. 1770 im
Steiermärkischen Landesarchiv in Graz liegt, kann man
ihm aber zumindest ein ehrliches Bemühen um
"Wahrheitstreue" nicht absprechen. Diese umfangreichere
Handschrift druckte 1924 zuerst der Leykam-
Verlag und später der Lorber-Verlag (damals "Neu-
Salems-Verlag") unter Berufung auf eben diese
Handschriften (vgl. das jeweilige Vorwort). Und auf
dieser gedruckten Biographie des Lorber-Verlages beruht
nun wiederum nach außen das Bild, das sich
Lorberfreunde von Jakob Lorber machen. Doch schon
hier ergeben sich Unstimmigkeiten:
Vergleicht man "Briefe Lorbers", die die
"Lebensbeschreibung" enthalten, oder die dritte Auflage
der "Lebensbeschreibung" des Lorber-Verlages mit der
Erstauflage des Leykam-Verlages, so erkennt man bereits
einige Unterschiede. Aussagen Ritter von Leitners über
Lorbers ungepflegtes Äußeres (vgl. Erstauflage S. 20)
wurden ebenso weggelassen wie einige der bissigen
Kommentare zu seinem wirren Musikstil aus dem
Beiblatt der Grazer Zeitung "Der Aufmerksame" (vgl.
Erstauflage S. 11f). Statt dessen lässt man Ritter von
Leitner Lorbers Werk mit den Worten anpreisen:
»Außer dem zehnbändigen "Großen Evangelium
Johannis" (1851-64) entstand so unter Lorbers
Feder eine stattliche Reihe zum Teile
mehrbändiger Werke – schon rein äußerlich der
Zahl und dem Umfange nach ein Zeugnis der
erstaunlichsten geistigen Fruchtbarkeit!
Erwähnt sei hier: (...)«
Jakob Lorber – Lebensbeschreibung 1930, S. 19
Auch ein Briefzitat wird Ritter von Leitner in den Mund
gelegt, in welchem Lorber sich zu seinem "inneren Wort"
äußert und die Passage, die Lorber als "mechanisches
Schreibmedium" darstellt entsprechend unterschlagen
(vgl. Kapitel "der Lorber-Verlag").
Vergleicht man nun wiederum die Erstauflage der
Biographie Leitners mit den Handschriften aus dem
Steiermärkischen Landesarchiv, so fällt auf, dass eine
Textpassage von Seite 35 (letztes Viertel) bis Seite 38
(bis letztes Drittel) aus den Handschriften bereits in der
Erstauflage komplett fehlt. Zunächst geht es dort nur um
eine Stimme, die Lorber wie hinter einem "Vorhang"
vernimmt und die ihn zu einer "Sonnenblume" machen
will, aus deren Kernen dann Öl gepresst werden soll,
welche Taube hörend und Binde sehend macht. Doch
nach der Frage, ob Lorber mit seinen Schriften insgesamt
ein "philosophisches System" offenbart, wird es
interessant. Lorber gesteht Ritter von Leitner, dass er
»so unrichtig und der Verbesserung bedürftig«
Lebensbeschreibung, Handschrift, S. 36
schreibe, dass die Stimme ihn deshalb rüge, da er
dadurch nur langsam vorwärts käme. Leitner erklärt dies
zunächst damit, dass Lorber eher Ideen und Bilder hätte,
statt konkrete Worte zu hören.
»Dieser Meinung widersprach aber Lorber auf
das Entschiedenste. Er sagte wiederholt, dass er
in seiner Brust auf der Seite des Herzens
unzweifelhaft eine Stimme vernehme die ihm
deutlich Worte zuflüstere«
Lebensbeschreibung, Handschrift, S. 37
Allerdings würden ihn die "lebhafte Anschauung" des
Gehörten und "äußerer Lärm" ablenken, was dann dazu
führen könne, dass er ganze Wörter überhöre. In diesem
Zusammenhang steht nun:
»Andererseits ist aber wieder eine Äußerung
Lorbers merkwürdig, die ihn doch auch den
eigentlichen Schreibmedien annähert, indem er
versicherte: am schnellsten und zugleich
richtigsten schreibe er dann, wenn er die Hand
sich ganz mechanisch mit der Feder fortbewegen
lasse.«
Lebensbeschreibung, Handschrift, S. 38
Nur diesen einen Satz ließ man in der Erstausgabe von
der über vier Seiten gehenden Auseinandersetzung über
Lorbers fehleranfälliges "inneres Wort" übrig, passte er
doch gut zu dem postulierten "reinsten Gotteswort".
Nachdem immer deutlicher wurde, dass auch der
inzwischen gegründete Neu-Salems-Verlag (Lorber-
Verlag) dieses "reinste Gotteswort" an vielen Stellen
"korrigieren" musste, ließ der Verlag diesen Satz in
seiner Auflage auch noch weg. Hätte Prof. Dr. Friedrich
Heer Lorbers Biographie so gelesen, wie sie ursprünglich
geschrieben wurde, hätte er gelesen, dass Lorber nach
eigener Aussage "unrichtig und der Verbesserung
bedürftig" schreibt, so hätte er wohl nicht "ruhigen
Gewissens" bezeugen können (vgl. Prolog):
»(...) so hat er sich auch nie beim Diktat
verschrieben. Keine Korrekturen, alles fließt aus
der Stimme, die er in seinem Herzen vernimmt.
Also: nimm und lies, lies Jakob Lorber!«
Prof. Dr. Friedrich Heer, Historiker
Und während man Heer überall werbewirksam zitiert,
ließ man in der Biographie nicht nur Ritter von Leitners
Auseinandersetzung mit Lorbers "innerem Wort" und
Lorbers Geständnisse weg, man legte Ritter von Leitner
später sogar ein Briefzitat in den Mund, welches
teilweise das Gegenteil von Leitners Bedenken zum
Ausdruck bringt und ein bestimmtes Bild der
Offenbarung forciert und zementiert:
»Bezüglich des inneren Wortes, wie man dasselbe
vernimmt, kann ich, von mir selbst sprechend, nur
sagen, daß ich des Herrn heiliges Wort stets in
der Gegend des Herzens wie einen höchst klaren
Gedanken, licht und rein, wie ausgesprochene
Worte, vernehme. Niemand, mir noch so
nahestehend, kann etwas von irgendeiner Stimme
hören. Für mich erklingt diese Gnadenstimme
aber dennoch heller als jeder noch so laute
materielle Ton.
- Das ist aber nun auch schon alles, was ich
Ihnen aus meiner Erfahrung sagen kann.«
Jakob Lorber – Lebensbeschreibung
3. Auflage 1930, S. 15f
Während nach Ritter von Leitners Biographie die Stimme
so "zugeflüstert" wird, dass sie Lorber bei
Nebengeräuschen nicht mehr versteht, ist diese Stimme
nun "heller als jeder noch so laute materielle Ton." Da
der Brief in älteren Schriften Leitners fehlt und in "Briefe
Lorbers" nicht als Brief sondern wieder nur als Teil der
Lebensbeschreibung abgedruckt wird, bleibt als älteste
Quelle nur Heft 1 der Zeitschrift "Psychische Studien"
vom Januar 1877. Gemäß dieser Quelle schrieb Jakob
Lorber diesen Brief am 6. Februar 1858 an seinen
Herausgeber Johannes Busch, der aus unerfindlichen
Gründen in der Lebensbeschreibung vom Lorber-Verlag,
(der sich in der Tradition Johannes Buschs sieht, vgl.
Lebensbeschreibung 1930, S. 35) nur anonym als "ein
Freund" bezeichnet wird.
Dass ausgerechnet Lorbers "inneres Wort" das letzte
Wort über die Darstellung seines Lebens hat und diese
Darstellung Ritter von Leitner einfach übergestülpt wird,
ist dabei kein Zufall. Ritter von Leitner war nach allem,
was er selbst aussagte und nach dem, was durch die
Neuoffenbarung überliefert wurde, ein gläubiger
Anhänger der Neuoffenbarung. Und die ließ dem
Biographen schon vorher keine Möglichkeit, eine
unabhängige Biographie zu schreiben. Denn lange bevor
Ritter von Leitner auch nur einen Satz geschrieben hatte,
wurde den Neuoffenbarungsfreunden bereits von „Gott“
persönlich mitgeteilt, wer Jakob Lorber war, wie er war
und wie er zu verstehen sei. Demnach war Lorber arm,
schwach, einfältig, faul, unnütz, nichtswürdig, töricht und
ein "armer Hascher", da "in seinem Kopfe fast nichts"
war und er "aus sich auch nichts wissen" konnte, da er
nicht grübelte und nicht forschte. "Gott" offenbarte aber
auch, dass er gehorsam, fromm, demutsvoll, treuherzig,
unermüdlich, redlich, scharf sehend und sanft gewesen
sein soll (vgl. z.B. Himmelsgaben 15.6.1840, 15.8.1840,
13.10.1840, 30.10.1840, 4.11.1840, 26.1.1841,
17.12.1841, 6.1.1842, 7.6.1842, 8.8.1842, 4.3.1848,
4.4.1848, 17.8.1848). Und so verlangte "Gott":
»glaubet ungezweifelt, was Ich euch durch
Meinen einfältigen Knecht kundgebe!«
Himmelsgaben, Band 1 vom 2.8.1840
– was all die Aussagen über Lorber damit aber
einschließt. Es ist somit klar, dass Ritter von Leitner
eigentlich nichts schreiben konnte, was dieser
Darstellung widerspricht, da sie aus seiner Sicht ja von
Gott kam und damit unfehlbar war und ist. Und wenn
sich Ritter von Leitner nach "langjährigem persönlichen
Umgange" dennoch an Begebenheiten erinnerte, die
diesem von "Gott" geoffenbarten Bild widersprechen, so
muss sich "natürlich" Ritter von Leitner geirrt haben und
dann ist es auch "nur legitim", ihn anhand des Bildes,
welches die Neuoffenbarung vermittelt, zu korrigieren.
Gegenüber dem skeptischen Blick von außen wird der
objektive Ritter von Leitner als Biograph hochgehalten,
die Kenner der Neuoffenbarung brauchen ihn jedoch
letztlich nicht mehr, sagt ihnen doch "Gott" viel
zuverlässiger, wer Jakob Lorber war. Dieses von der
Neuoffenbarung selbst vermittelte Bild prägt offenbar
viel stärker als die Aussagen dieses doch so hoch
geschätzten Augenzeugen.
Schon die kurze Sammlung von Geschichten über Lorber
aus zweiter Hand, die auf die Hausbesitzerin Antonia
Großheim zurückgehen soll (vgl. Lebensbeschreibung
1930, S. 34-38), überhöht Lorber. War Jakob Lorber in
"Psychische Studien" noch ein "Bierfiedler" auf der
"untersten Stufe der Kunst", so spielte sich Lorber hier
mit seinem "wunderbaren Violinspiel" so in die Herzen
seiner Zuhörer, "dass sie weinen mussten vor Liebe und
Glück." Wieder wird Lorbers "inneres Wort" zitiert,
wonach Lorber "sehr reich sein" könnte, "da er als
Tonkünstler auch durch meine Gnade die besten
Fähigkeiten dazu besitzt." Dabei war Lorber nach Ritter
von Leitner vor seiner "Berufung" bis zu seinem 40.
Lebensjahr ohne feste Anstellung (Lebensbeschreibung,
Erstauflage, S.14). Wieder dominiert die Neuoffenbarung
statt der Darstellung des Ritter von Leitner.
Auch in dem Film "Jakob Lorber – ... und hättet ihr nicht
das ganze Universum in euch ..." von Stephan Kayser in
Zusammenarbeit mit der Lorber-Gesellschaft, 1988, wird
die Biographie von Ritter von Leitner zwar als Quelle
angeführt, aber nur auszugsweise wiedergegeben. Statt
dessen wird behauptet:
»Auch seine Freunde und Zeitgenossen mussten
ihre Zweifel und Bedenken erst besiegen. Das,
was Lorber fast täglich über Jahre hinweg zu
Papier brachte, war zwar etwas Weltbild
bewegendes - aber konnte dies nicht der eigenen
Phantasie, oder gar einem Zustand der
Schizophrenie entsprungen sein? Der bereits
erwähnte Komponist und Schubert-Freund
Anselm Hüttenbrenner sowie dessen Bruder
Andreas Hüttenbrenner, damals erster
Bürgermeister von Graz, scheuten sich nicht,
bekannte Ärzte hinzu zu ziehen um Klarheit über
den Geistes- und Gesundheitszustand Lorbers zu
gewinnen. Doch auch ein Dr. Justinus Kerner,
Arzt und Dichter in einer Person, musste
erkennen: Lorbers Aufzeichnungen waren nicht
Früchte eines überhitzten Gemüts oder
geisteswirrer Einbildungen, sondern es waren die
Früchte einer wunderbaren, geheimnisvollen
Kraft und Macht.«
Nirgends in der Biographie von Ritter von Leitner wird
erwähnt, dass Lorbers Geisteszustand im Auftrag seiner
Freunde untersucht wurde. Anselm Hüttenbrenner nahm
Kontakt zu Dr. Justinus Kerner auf, um die
Neuoffenbarung zu veröffentlichen, ihn plagten zu
diesem Zeitpunkt also offenbar keine Zweifel. Kerner
war spiritistischen und okkultistischen Fragen
zugewandt. So nahm er beispielsweise Friederike Hauffe
(1801–1829) einige Zeit bei sich auf und veröffentlichte
im Jahre 1829 das zweibändige Werk "Die Seherin von
Prevorst" über sie. Nach Ritter von Leitner gehörten die
Schriften Kerners ebenfalls zu denen, die Lorber vor
seinem Hörerlebnis las. Und so verwundert es nicht, dass
Kerner Interesse zeigte und 1851 anonym "Briefwechsel
Jesu mit Abgarus" und "Brief des Paulus an die
Gemeinde von Laodizea" drucken ließ. Schließlich wurde
er nicht als Arzt konsultiert, sondern als Gleichgesinnter
im Interesse spiritistischer und okkulter Phänomene.
Auch Edith Mikeleitis wird in dem Film als "Kennerin"
Lorbers zitiert, obwohl sie erst über 40 Jahre nach
Lorbers Tod geboren wurde. Ihre Befähigung, sich
kompetent über Jakob Lorber äußern zu können, erhielt
sie demnach nicht aufgrund einer persönlicher
Bekanntschaft mit Lorber, wie etwa Ritter von Leitner,
sondern dadurch, dass sie die Neuoffenbarung gelesen
und verinnerlicht hatte. Und so schrieb sie, trotz der
leiblichen Tochter Lorbers (vgl. Kapitel "Lorbers
Tochter"):
»Niemals hört man von einer näheren Beziehung
zum weiblichen Geschlecht (...)«
Der Plan Gottes. Ein Lorber-Brevier. Lorber-
Verlag Bietigheim 1964, S. 16
In dieser Weise ist auch die Fehleinschätzung von
Professor Heer zu verstehen, der über 50 Jahre nach
Lorbers Tod geboren wurde und diesen daher ebenfalls
nicht kannte.
Selbst innerhalb der 3. Auflage der Biographie von Ritter
von Leitner wird Leitners Text in einer Fußnote
widersprochen:
»Zur Richtigstellung der Swedenborg
betreffenden Angabe, siehe die Wiedergabe einer
Bemerkung von Lorbers Freund Cantily in
"Briefe Jakob Lorbers, Urkunden und Bilder aus
seinem Leben".«
Jakob Lorber – Lebensbeschreibung
3. Auflage 1930, S. 13
Der Grazer Apotheker und Lorberfreund Leopold Cantily
korrigiert dort:
»Dieses Buch war Eigentum Jakob Lorbers, der
es mir 1862 gab. Ob er es gelesen, weiß ich nicht.
Es scheint aber, da er mir dasselbe empfahl;
jedoch Einfluss auf seine Schriften, besonders die
vom Herrn selbst diktierten, hatte es nicht. Mit
dem Lesen hatte er seit 1840 keine besondere
Freude, denn ich erhielt von ihm mehrere, schon
lange in Seinem Besitz befindliche Bücher, z. B.
auch den ganzen Swedenborg vera Christiana
religio unaufgeschnitten, zudem war er des Latein
nicht mächtig (...)«
Briefe Jakob Lorbers. Neu-Salems-Gesellschaft,
Bietigheim 1931, S. 112
Obwohl Cantily Lorber kannte, folgte er bei der Frage,
ob Lorber von Swedenborg beeinflusst worden sein kann,
dem Prinzip, dass Lorber einfältig und unbeeinflusst
schrieb und deshalb nicht ist, was nicht sein darf. Denn
natürlich konnte Lorber Latein. Lorber wollte einst
Priester werden, wollte deshalb aufs Gymnasium und
erhielt bereits vor dem Besuch des Gymnasiums von
einem Kaplan Lateinunterricht (vgl. Lebensbeschreibung,
Erstauflage S.9). Anschließend lernte er Latein im
Gymnasium und erhielt im Zeugnis die Bestnote "prima
cum eminentia" (vgl. Briefe Lorbers, Erstauflage S. 107).
Ritter von Leitner schrieb:
»Als er den 33. Absatz des fünften Kapitels des
schon erwähnten Werkes vollendet hatte, legte er
die Feder weg, nahm die Mütze vom Haupte und
sagte halblaut: "Deo gratias!"«
Jakob Lorber – Lebensbeschreibung
1. Auflage 1924, S. 22
Hatte also Swedenborg Einfluss auf Jakob Lorber? Der
Leiter des Swedenborg Zentrums in Zürich, Thomas
Noak, findet viele Inhalte Swedenborgs in Lorbers
Neuoffenbarung wieder (Text vom 29.8.2002. In: Offene
Tore 4 (2002) 198-204). Er schreibt, hier werde deutlich
»was "aus Swedenborg" alles erwachsen kann
(...) an Lorber kann man studieren, was für ein
enormes Entwicklungspotential jenseits
ängstlicher Orthodoxie in swedenborgschen
Ideen steckt«
Nimmt man aber an, dass die Neuoffenbarung von Gott
stammt, so ist die Frage doch eine ganz andere: Hat
Swedenborgs Lektüre Lorber oder tatsächlich Gott selbst
beeinflusst? Wie kann es sein, dass eine von Gott
diktierte Neuoffenbarung von dem beeinflusst wurde,
was Jakob Lorber vorher las? Entwickelte Gott seine
Offenbarung anhand der Ideen von Immanuel
Swedenborg, wie es Thomas Noak schreibt?
Zumindest Swedenborg passt nicht in das Schema des
einfachen, kindlichen, unbeeinflussten Geistes. Er
studierte Philologie, Philosophie, Mathematik,
Naturwissenschaften und Theologie, begab sich auf
Studienreisen, brachte einige Erfindungen hervor und
veröffentlichte mehrere wissenschaftliche Texte,
beisielsweise über Algebra, den Planetenlauf oder Ebbe
und Flut, bevor er sich der Theosophie zuwandte. Aber
wie sieht es mit Jakob Lorber aus?
Das Bild von Jakob Lorber, das Bild eines einfachen,
schlichten, demütigen, unauffälligen Mannes, dessen
kindlicher Geist nicht fähig sei, ein Werk wie die
Neuoffenbarung hervorzubringen, beruht letztlich auf
einem Zirkelschluss, auf dem Bild, das die
Neuoffenbarung über Lorber und damit über sich selbst
vermittelt. Das Bild des keuschen Heiligen mit reinem
Herzen, der im blinden Vertrauen auf Gott eine helle
Stimme in seinem Herzen vernimmt und so fehlerfrei und
rein der Welt die tiefsten Geheimnisse offenbart, ist
somit nicht historisch verankert, sondern dogmatisch.
Dieses Bild hatten Edith Mikeleitis, Friedrich Heer und
in gewissem Umfang auch Antonia Großheim, Leopold
Cantily und sogar Ritter von Leitner verinnerlicht und
dieses Bild entwickelten sie weiter, indem sie selbst
wiederum, ausgehend von diesem Bild, Zeugnis ablegten
von einem Jakob Lorber, den sie teilweise selbst nie
persönlich kennen gelernt haben. Auf diese Weise
mischten sich christliche Idealvorstellungen mit
schemenhaften Fakten und formten mehr und mehr einen
kerygmatischen Lorber heraus, der mit der historischen
Figur freilich kaum noch Ähnlichkeit hat. Schließlich ist
nicht einmal widerspruchsfrei dokumentiert wie Jakob
Lorber das "innere Wort" nun wirklich vernahm.
Am ehesten wird man den historischen Jakob Lorber
wohl anhand der ursprünglichen Texte von Ritter von
Leitner erahnen können, einen Jakob Lorber, den, wie
Ritter von Leitner schreibt, seine musikalischen
Leistungen innerlich nicht befriedigen konnten, der sich
mit christlichen Mystikern beschäftigte und einen nach
dem anderen las. Der versuchte, in die materiellen und
geistlichen Geheimnisse der Schöpfung einzutauchen,
der beobachtete, nachdachte, sich ein Fernrohr baute, der
mehr sein wollte als die zweite Geige, der großen Genies
nacheiferte und dabei gerade dann, wenn er selbst
Großartiges, Verwegenes und Geniales zu Tage brachte,
sich ins Wunderliche und Bizarre verlor und um dessen
Geisteszustand sich Ritter von Leitner zunächst ernsthaft
Sorgen machte, als er ihm berichtete, eine Stimme zu
hören (vgl. Erstauflage S. 21).
Es ist letztlich nicht viel, was man über diesen
historischen Jakob Lorber weiß, auch wenn nach wie vor
Gegenteiliges behauptet und produziert wird. Bedient
wird dabei lediglich ein liebgewonnenes Bild einer treuen
Leserschaft, die in der Vorstellung davon, wie Jakob
Lorber war und wie er sich in der Neuoffenbarung selbst
darstellt (oder dargestellt wird), bestätigt werden will.
Vermutungen, beispielsweise über seinen geistigen
Zustand und seinen schöpferischen Drang, lassen sich
allenfalls anhand der Handschrift der Biographie von
Ritter von Leitner und auch dort nur mit großer Vorsicht,
aufstellen.
Und so bleiben, neben aller Unsicherheit, tatsächlich
wieder nur seine Schriften, die uns, wenn überhaupt,
einen Eindruck von dem unbekannten Propheten Jakob
Lorber geben –
vorausgesetzt, sie wurden nicht ebenfalls Opfer von
Maßnahmen, die das Bild Lorbers und seiner
Neuoffenbarung in einem anderen Licht erscheinen
lassen sollten.
Psychische Studien 1878/1879
Lebensbeschreibung (Handschriften, 1924, 1930, 1931)
Psychische Studien 1877
Bilder zu Korrekturen in den Handschriften Lorbers
Lorbers Lateinkenntnisse
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