Viele kleine Änderungen, die sich durch den ganzen Text von „Erde und Mond“ ziehen, betreffen vor allem Lorbers überfrachteten und dabei trotzdem eintönigen Schreibstil. Sinnlose Aneinanderreihungen von Beispielen und kaum nachvollziehbare Vergleiche wurden vom Lorber-Verlag entfernt und sprachlich geglättet. Der sachlich kurze, eloquente Sprachgebrauch der Überarbeitung täuscht über den psychisch auffälligen Sprachgebrauch Lorbers zum Teil hinweg (vgl. die beiden letzten Kapitel). Falsche oder lächerlich wirkende Erklärungen, Einschübe und Beispiele wurden ebenfalls weggelassen. Der Umfang der Kürzungen entspricht dabei allerdings nicht wie im Eingangsbeispiel dem Weglassen von Jesu Kreuzestod und Auferstehung. Würde man die Bibel im Verhältnis genauso kürzen wie die „Erde“, würden auf den meisten Seiten Verse oder ganze Abschnitte fehlen. Zusätzlich wäre auch das gesamte neue Testament weg. Manche Passagen wären dabei so verändert, dass sie das Gegenteil der ursprünglichen Bedeutung aussagen würden.
Viel augenfälliger ist aber, dass der Text nicht gleichmäßig gestrafft, sondern große Sinnabschnitte restlos gestrichen wurden, während andere Kapitel fast unverändert blieben. Die Überarbeitung war also, anders als es der Lorber-Verlag beteuert, vor allem eine massive inhaltliche Korrektur eines angeblich von Gott selbst diktierten Werkes.
Die dargestellten Zensuren erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Insbesondere Änderungen blieben meist unberücksichtigt. Immer wieder gibt es Anfragen von
Lesern, die dem Lorber-Verlag eine so derbe Fälschung nicht zutrauen. Da ich beide Ausgaben von „Erde und Mond“ besitze, kann ich zur Überprüfung gerne einen Notar mit der Zustellung einer notariell beglaubigten Kopie der beiden Ausgaben beauftragen, sofern dem Notar die Kosten dafür im Voraus erstattet werden.
Manche Lorberfreunde kennen auch schon das Problem mit den Textänderungen. Zum Teil wird der Lorber-Verlag auch von Lorberfreunden für die Zensuren und Änderungen scharf kritisiert. Nur – reicht das aus, wenn man anschließend wieder die Bücher liest und glaubt, hier würde Gott reden? Mag sein, dass der Lorber-Verlag seine Zusicherung, den Inhalt nicht verändert zu haben, nur auf den Unterschied zwischen der fünften und der sechsten Auflage bezieht. Aber dann sollte er das auch so schreiben. Wenn die Neuoffenbarung das Produkt eines psychisch kranken Menschen ist und das nur deshalb nicht unmittelbar auffällt, weil sie der Lorber-Verlag anpasst, was haben dann die Menschen von dieser Neuoffenbarung? Der Lorber-Verlag kann den Menschen eine andere Neuoffenbarung geben. Aber kann er ihnen auch einen anderen Gott, einen anderen Jesus oder ein anderes Jenseits beschaffen?
Viele Verschwörungstheorien um die Kirche und den Vatikan gehen davon aus, dass die Bibel von der Kirche aus machtpolitischen Gründen zensiert und verändert wurde. Dabei lassen sich trotz der vergangenen Jahrtausende kaum Änderungen finden. Auch die Qumran-Funde bestätigten im Wesentlichen die bekannte Bibel. Geheime Evangelien oder Schriften gehören ebenfalls ins Reich der Mythen. Zwar wurden tatsächlich viele Schriften aufgrund von Zweifeln an deren Echtheit oder Relevanz nicht in die Bibel aufgenommen, aber diese Apokryphen sind deshalb trotzdem zugänglich – wer will kann sie lesen. So einfach ist das bei den Handschriften Lorbers im Allgemeinen leider nicht. Es ist daher zynisch, wenn eine abgeänderte und angepasste Neuoffenbarung als Korrektur einer angeblich abgeänderten und angepassten Bibel gutgläubigen Neuoffenbarungsfreunden verkauft wird:
»Eben darum aber erwählte Ich dich, weil du kein Schreiblustiger bist, um eben dadurch Meine Ware einmal ganz rein vor die Welt zu bringen«
(Himmelsgaben Band 2, 8. Februar 1844)
Was nützt es, wenn Lorber das, was er hörte, genau so
wie er es hörte niederschrieb? Was hilft es, wenn er kein
Schreiblustiger war und die Texte ganz rein vor die Welt
brachte? Was helfen all die Beteuerungen, wenn der
Verlag den Text anschließend abändert und die
Öffentlichkeit dadurch Lorbers Texte gar nicht erst
kennen lernt? Was hilft es dem Leser, wenn er diesem
Text dann vertraut?
Er kann nicht den Lorber-Verlag kritisieren und der
Neuoffenbarung glauben, wenn die Neuoffenbarung, die
er kennt, das Werk des Verlages ist. Er kann dann eben
nicht sagen, dem Verlag vertraue ich nicht, ich vertraue
nur der Neuoffenbarung, da er ja letztlich keine Ahnung
hat, was in der Neuoffenbarung, wie sie Jakob Lorber
schrieb, überhaupt steht.
Klar kennt der Leser den Großteil der Geschichten, aber
der Charakter eines Buches wie „die Erde“ verändert sich
im Vergleich zu den heutigen Auflagen fundamental,
wenn man die Erstausgabe liest (siehe oben).
Im Sinne von „Prüfet alles und das Gute behaltet“ wäre
es notwendig, die Neuoffenbarung so zu drucken, wie sie
Lorber einst geschrieben hat. Aber im Sinne einer breiten
Akzeptanz unter den Lorberfreunden und für das Bild
einer glaubwürdigen Offenbarung ist es natürlich
einfacher, die Neuoffenbarung weiter zu zensieren und
zu manipulieren. Nur so lässt sich die Naivität der
gutgläubigen Leser weiter ausnutzen. Zu viele
Neuoffenbarungsfreunde würden, wie ich, die
Neuoffenbarung verwerfen, wenn sie die Wahrheit
wüssten.
Die Neuoffenbarung, wie sie Neuoffenbarungsfreunde
lesen und kennen, ist das Konstrukt eines Verlages.
Erträglicher, scheinbar vertrauenswürdiger und auf jeden
Fall schwerer zu widerlegen als das Original. Aber
trotzdem nur ein kommerzielles Konstrukt und damit in
jedem Fall Fiktion.
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