Die Alexander-Morde und das innere Wort

Am 16. Dezember 1970 ermordeten Harald Alexander (39) und sein Sohn Frank (16) ihre Ehefrau und Mutter Dagmar Alexander (41) sowie die Töchter Marina (18) und Petra (15).

»Die Polizei entdeckte keine Spuren von Gegenwehr. Neben den Leichen, am Boden auf den grauweißen Fliesen, lagen die Herzen der Getöteten - herausgeschnitten wie die Genitalien mit Kneifzange und Gartenschere.«

Familie Alexander fiel bis dahin nicht unangenehm auf. Im Gegenteil.

»Der eher schmale Mann mied grobe Worte und Bier, er war weder auf der Kegelbahn noch beim Skatspielen zu sehen. Als in der Frühstückspause am Arbeitsplatz einmal Porno-Photos kursierten, wandte er sich ab. Nachbarn aus dem Heidedorf Eckel Im Kreis Harburg, wo Harald Alexander bis 1956 wohnte, fiel er allenfalls wegen seiner Unauffälligkeit auf.«

Auch der Sohn

»Frank Alexander war immer ein braver Junge, bescheiden und auffallend scheu.«

»Wie meist in seiner freien Zeit, war der Junge zu Hause geblieben. Dort, im Vierzimmer-Appartement ID in der Gasse Jesùs Nazareno Nr. 37, unter dem Bibelspruch 'Laß Dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig', hielt er Zwiesprache mit Gott, träumte vom Erzengel Gabriel oder sprach gemeinsam mit Vater Harald über das Leben nach dem Tode. Wenn Mutter Dagmar sich ans Harmonium setzte, hielten sich Schwester Marina, die Zwillinge Petra und Sabine mit Vater und Bruder an den Händen und sangen mit.«

Wie passt aber solch eine Tat in ein solches Familienidyll?

»Nicht Streitereien um Geld und Kindererziehung, nicht Eifersucht oder Trunkenheit lösten das Gemetzel aus«

»Harald Alexander hatte sich gerade aufs Bett gelegt, Frank und die Mutter saßen auf der Bettkante. Der Junge schrie auf: "Der Teufel ist in meiner Mutter." Und da vernahm Vater Harald, wie er später dem Psychiater sagte, die Stimme eines Geistes: "Gehorche deinem Sohn." Er gehorchte.«

Solche Stimmen waren für Harald Alexander durchaus vertraute Quellen göttlicher Botschaften:

»Die Lehren des Mystikers über die "Fortentwicklung im Jenseits" wurden in Deutschland zum Kristallisationspunkt für Lorber-Gesellschaften. "Weit über 10 000" (...) schlossen sich in der Bundesrepublik diesen Gesellschaften an - unter ihnen auch Harald Alexander. Der Gottsuchende fühlte sich indessen besonders zu dem Lorber-Interpreten Riehle hingezogen, den er Anfang der sechziger Jahre, kurz vor dessen Tod, in Dresden mehrfach besuchte und mit dem er dort lange Gespräche führte.«

»Ohne Umschweife, ohne Zögern gestanden Vater und Sohn, nachdem sie sich der Polizei gestellt hatten. Harald Alexander, der in der Haft so still und unauffällig war wie immer, sprach: "Der Befehl kam von einer hohen Stelle. Mein Sohn wird von Gott geleitet."«

»Gutachter-Fazit über Harald Alexander: "Absolut eindeutige Schizophrenie." Sohn Frank sei davon pathologisch induziert, die ganze Familie schließlich einer symbiotischen Psychose (Gruppenwahn) erlegen.«


Eine scheinbar ganz normale Familie. Von links: Dagmar, Petra und Marina Alexander
Quelle: Der Spiegel, Heft 14/1972, S. 92


Soweit zur Berichterstattung aus "Der Spiegel" 3/1971 und 14/1972. Es fällt angesichts dieser Tat sicher nicht schwer, die Diagnose des Gerichtsmediziners nachzuvollziehen. Die Frage ist nur: Wären Harald und Frank Alexander gesund gewesen, wenn Frank nur diesen einen Impuls zum Mord nicht bekommen hätte?

1. Die demütige fromme Beschaulichkeit der Familie Alexander war kein Garant für deren geistige Gesundheit. Selbst wenn es Anzeichen für eine psychische Erkrankung gab, wurden diese vom Umfeld offenbar nicht als so pathologisch erkannt, wie sie sich nachher darstellte. Man sollte also auch trotz eines vorbildlichen Lebenswandels die Möglichkeit einer paranoiden Schizophrenie als Ursache für das Hören eines "inneren Wortes" nicht ausschließen.

2. Könnte die Skepsis, die die meisten Menschen gegenüber dem Hören von Engel- oder Gottesstimmen haben, auch davor schützen, vorschnell destruktiven Anweisungen Folge zu leisten? Solange solche Stimmen nur über Mondschafe berichten oder zum Verzicht von Kaffee aufrufen, sind sie zwar ungefährlich, aber was, wenn eine solche Stimme plötzlich Menschen pauschal als stinkende Schweine beschimpft, zu Gewalt an Kindern oder gar zum Mord aufruft? Welche Chance hat ein Opfer überhaupt, wenn die Täter nicht den geringsten Zweifel daran haben, die Stimme käme direkt von Gott?

Sollte man nicht generell vorsichtiger sein, wenn sich in einem Stimmen zu Wort melden, die sich als Gott oder Engelsgeister ausgeben?


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